Mehr Lebensqualität dank Schmerzschrittmacher

Lisa M.* ist 15 als sich ihr Leben schlagartig ändert. Ursache ist eine Leistenbruch-OP. Eigentlich ein Routineeingriff. Für die Teenagerin hat er aber ungeahnte Folgen. Von diesem Tag an werden Schmerzen zu ihrem ständigen Begleiter – über Jahre. Erst ein Schmerzschrittmacher beendet die Odyssee der jungen Frau.

„Ich habe neun Jahre Fußball gespielt. Zwei bis drei Mal in der Woche Training, dazu Spiele“, blickt die inzwischen 20-Jährige zurück. Dabei habe sie sich eine »Sportlerleiste« geholt – chronische, belastungsabhängige Schmerzen im Leistenbereich. Meist handelt es sich bei so jungen Sportlern nicht um einen richtigen Bruch, sondern eine Schwäche in der Leistenkanalhinterwand. Bei starker körperlicher Anstrengung kommt es zu Nervenkompressionen, was stechende Schmerzen auslöst.

Routineeingriff mit gravierenden Folgen

Die Chemnitzerin wird im März 2019 im Hernienzentrum in Rabenstein operiert. „Die OP habe ich gut überstanden, aber die Schmerzen sind nicht weggegangen. Drei Mal täglich eine Ibu 600, später sogar 800er. Sonst hätte ich es gar nicht ausgehalten.“ An Sport war nicht mehr zu denken. „Wenn ich beim letzten Fußball-Training geahnt hätte, dass es mein Letztes sein würde …“, sagt sie traurig.

Denn es begann eine Odyssee, die erst fünf Jahre später im Sana Klinikum Borna bei Dr. Peter Schwarzkopf, Oberarzt für Anästhesie und Schmerztherapie, endet. Dort hört Lisa M. im August 2023 zum ersten Mal vom Schmerzschrittmacher. Doch der Weg bis dahin ist lang.

Manuelle Therapien sollten der jungen Frau helfen - ohne Erfolg.

„Zuerst habe ich manuelle Therapien erhalten. Sehr schmerzhaft, aber ich dachte, ich muss durch, dann wird es schon“, erzählt sie. Stattdessen wurde es noch schlimmer. Regelrechte Schmerzattacken überfielen sie. „Der Sportorthopäde machte Wundflüssigkeit für die quälenden Schmerzen verantwortlich. Ich bekam zehn Spritzen in den Rücken – ohne Erfolg“.

Der Behandlungsmarathon wirkte sich auf ihre Psyche aus. „In meinem Kopf drehte sich alles nur noch um Schmerzen, Ärzte, Therapien. Ich brauchte eine Pause“, erinnert sie sich. Dabei forderte das Abitur volle Konzentration. „Zu der Zeit war viel los in meinem Leben: Abi, Umzug, Führerschein und und und. Ich hatte weder zeitlich noch physisch oder psychisch Kapazitäten frei.“ Ein Dreivierteljahr versuchte sie zu ignorieren, was nicht zu ignorieren war.

Sie war gerade 18, da lag im Briefkasten ein Fragebogen vom Hernienzentrum Rabenstein. „Ich habe realitätsgetreu ausgefüllt, dass ich mit dem OP-Ergebnis nicht zufrieden bin“, so die junge Frau. Daraufhin wurde sie eingeladen und untersucht. Das Ergebnis: alles in Ordnung. Warum ging es ihr dann so schlecht? Mit der Überweisung ins Schmerzzentrum Rabenstein wurde sie entlassen.

Heftige Schmerzen fesseln Lisa M. oft tagelang ans Bett

„Ich war sehr deprimiert. Meine Schmerzen lagen auf einer Skala von 1 bis 10 bei 2 bis 4, während der Attacken, die sich wie Messerstiche anfühlten, bei einer glatten 10. Teilweise ist mir vor Schmerz die Luft weggeblieben“, erzählt Lisa M. Im Familienurlaub – sie hat zwei Geschwister – habe sie alle ausgebremst. „Wenn ich auch nur etwas länger spaziert bin oder mal paar Meter schwimmen wollte, lag ich drei Tage flach“, beschreibt die junge Frau die damalige Situation.

Endlich eine Diagnose

Im Schmerzzentrum Rabenstein bekam sie endlich eine Diagnose. Bei der OP wurde der sog. »Nervus genitofemoralis« verletzt: Ein Nerv in der rechten Leiste, der den Genital- und Leistenbereich sowie den oberen Teil des Oberschenkels versorgt. Wenigstens eine Erklärung für die Schmerzen, für das Taubheitsgefühl im Bein. „Ohne Ultraschall bekam ich eine lokale Betäubung in die Leiste gespritzt. Danach konnte ich zwei Tage gar nicht gehen“, berichtet Lisa M. Trotzdem hielt sie die Behandlung sechs Mal aus. Gebracht habe es nichts.

Ein Vertretungsarzt riet zur gezielten Suche des Nervs per Ultraschall. Als auch das nicht half, wurden Antiepileptika verschrieben. Bis ein geeignetes Medikament gefunden war, gingen wieder Monate ins Land. Übelkeit und Schwindel waren zwei der Nebenwirkungen, die ihr den Alltag schwer machten – auch die Ausbildung zur Industriekauffrau. Zudem musste sie im Herbst 2021 und 2022 auch noch wegen wiederkehrender Entzündungen der Mandeln und Nasennebenhöhlen zweimal operiert werden.

Hilfe findet Lisa M. schließlich in Borna

Die Wirkung des Antiepileptikums ließ nach, die Dosierungen wurden immer höher. Der Chemnitzer Arzt empfahl ihr schließlich Dr. Peter Schwarzkopf. Als Lisa M. im August 2023 das erste Mal bei dem Spezialisten für neuropathische Schmerzen im Sana Klinikum Borna saß, war sie „voll Hoffnung, aber nach vielen Enttäuschungen auch sehr skeptisch“, gesteht sie. Dr. Schwarzkopf habe sich dann sehr viel Zeit für sie genommen und Ihr schließlich zu einem periphere Nervenstimulator (»Schmerzschrittmacher«) geraten.

Um die Schmerzursache exakt zu definieren, spritzten die Bornaer Schmerzspezialisten unter Ultraschallkontrolle Betäubungsmittel an den Nerv.

Der periphere Nervenstimulator, auch »Schmerzschrittmacher« genannt, wird bei chronischen Nervenschmerzen eingesetzt, die durch Verletzungen, auch bei Operationen, auftreten und auf andere Verfahren nicht ansprechen“, erläutert der Oberarzt. Bei der Chemnitzerin setzt er zuerst die lokale Infiltrationstherapie ein. Ultraschallgeführt wird Betäubungsmittel an den Nerv gespritzt. „Die Wirkung ließ nach wenigen Stunden nach, aber wir wussten, es ist der richtige Nerv und der spricht auf das Mittel an“, erklärt Dr. Peter Schwarzkopf. Im Oktober 2023 folgte ein zweiter Versuch mit derselben Wirkung.

Kurz vor Weihnachten 2023 wurde Lisa M. stationär in Borna für eine gepulste Radiofrequenztherapie aufgenommen. Im Januar 2024 blieb nach einem letzten Botox-Versuch nur noch die Option Schmerzschrittmacher. Den Nerv durchzutrennen, sozusagen die Ultima Ratio, sei immer die allerletzte Lösung, macht Dr. Peter Schwarzkopf deutlich. Dies wäre mit einer weiteren Operation verbunden und biete bei einem bereits verletzten Nerv und einem jungen Menschen keine Garantie für eine dauerhafte Schmerzreduktion.

Die periphere Nervenstimulation ist ein Verfahren zur Therapie von Schmerzsyndromen. Ebenso wie bei anderen Verfahren der Neuromodulation wird bei dieser Methode eine feine Elektrode an einen peripheren Nerven implantiert. Diese überträgt elektrische Impulse auf den Nerven, welche. von einem Generator erzeugt werden, der sich außerhalb des Körpers direkt über der implantierten Sonde befindet.

Dieser wird auch als »Schmerzschrittmacher« bezeichnet, da die elektrischen Impulse die Weiterleitung des Schmerzes überlagern oder Kribbelempfindungen im schmerzhaften Areal auslösen, sodass die eigentlichen Schmerzen verringert werden.

Mit einem Steuergerät können Patienten die Stimulation selbst regulieren und an das subjektive Schmerzempfinden anpassen.

Die junge Frau erfüllt für den Schmerzschrittmacher alle Voraussetzungen. „Der Patient muss die Therapie vor allem verstehen. Wir legen letztlich nur eine Elektrode an den Nerv, die von außen mit einem Stimulator per Induktion aktiviert werden muss“, erklärt Dr. Schwarzkopf. Bei dementen Patienten sei dieses Verfahren deshalb z. B. nicht möglich.

OP als absolute Teamarbeit

„Jede einzelne Behandlung war für den Kopf eine Herausforderung. Mir war klar, auch diese Operation wird hart“, sagt Lisa M. Am 26. Februar 2024 ist es so weit. Das OP-Team besteht aus Dr. Peter Schwarzkopf, Neurochirurg Dr. Axel Goldammer und einem Medizintechniker. Bei vollem Bewusstsein, nur mit örtlicher Betäubung der Haut, wird unter Ultraschallsicht die Stimulationselektrode zum betroffenen Nerv geschoben. „Es ist wichtig, dass die Elektrode so nah wie möglich am Nerv sitzt. Das wird während der OP mit Strom getestet. Dafür muss die Patientin wach sein“, betont Dr. Peter Schwarzkopf.

Für Lisa M. eine extreme Situation. „Die drei Männer haben mir die ganze Zeit gut zugesprochen. Dr. Schwarzkopf hat sich mit mir sogar über Fußball unterhalten, um mich abzulenken“, ist sie dankbar. Dr. Schwarzkopf sieht die OP als »absolute Teamarbeit«. Seit 2019 werde dieses Verfahren bis zu vier Mal pro Jahr in Borna durchgeführt.

Mittels eines Stimulators kann Lisa M. den Nerv anregen und den Schmerz so überspielen.

Schmerzschrittmacher regt den Nerv an und überspielt den Schmerz

„Das Besondere an dem System ist, dass wir im Grunde nur ein kurzes Kabel einbauen. Der extern befindliche Stimulator überträgt dann per Induktion Strom auf dieses Kabel, wodurch der Nerv angeregt und der Schmerz überspielt wird. Benötigt die Patientin später weniger oder vielleicht gar keine Stimulation mehr, kann die Elektrode trotzdem im Körper verbleiben“, so Dr. Peter Schwarzkopf.

Zuerst einmal musste das Implantat abheilen. Lisa M. hat die Tage nach der OP als „krass“ erlebt: „Der Nerv war auf 180.“ Es könne durchaus sein, dass die Schmerzen kurzzeitig stärker werden, bestätigt Dr. Peter Schwarzkopf. „Der externe Stimulator ist erst zwei Wochen nach der Operation einsatzfähig.“

Nicht schmerzfrei, aber gut eingestellt

Da kam der Medizintechniker wieder ins Spiel. Er hat den Stimulator vor Ort in Borna individuell auf die junge Patientin abgestimmt. Drei verschiedene Programme wurden je zwei Wochen getestet. „Heute geht es mir viel besser. Ich setze den Stimulator früh und abends für jeweils zwei bis drei Stunden ein. Damit komme ich gut klar.“ Sie werde wahrscheinlich nicht 100 Prozent schmerzfrei, „aber so kann ich gut leben“, sagt Lisa M.


Unser Schmerzschrittmacher-Experte

Dr. Peter Schwarzkopf
Facharzt für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und Intensivmedizin
Telefon 03433 21-1681
peter.schwarzkopf@sana.de


*Die Patientin möchte anonym bleiben. Der Name ist der Redaktion bekannt.

Stand: 06.09.2024

Newsletter