»Schmerzen zu lindern ist Teamarbeit«

Die Diagnose von chronischem Schmerz oft komplex ist und erfordert eine multimodale Therapie, also eine Therapie »auf vielen Wegen«. Wir haben uns die Möglichkeiten, Ansätze und Unterschiede von Dr. Brit Hellriegel erklären lassen. Die Fachärztin für Anästhesiologie leitet die schmerztherapeutische Tagesklinik an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna.

Die Behandlung chronischer Schmerzen erfordert oft einen Mix verschiedener Maßnahmen, woraus sich auch der Begriff »multimodale Schmerztherapie« ableitet. Darüber hinaus ist eine Schmerztherapie auch wahre Teamarbeit. Nicht nur, dass Medizinerinnen und Mediziner verschiedener Fachrichtungen wie Anästhesie, Neurologie, Orthopädie, Chirurgie oder Radiologie sowie weitere Gesundheitsexperten eng zusammenarbeiten, um die besten Maßnahmen für die Betroffenen zu finden. Auch die Betroffenen spielen eine wichtige Rolle für das Gelingen einer solchen Therapie. Sie müssen sich effektive Bewältigungsstrategien aneignen, um mit Schmerzen umzugehen und den Teufelskreis aus Inaktivität und Bewegungsangst dauerhaft zu durchbrechen.

Das interdisziplinäre Schmerzzentrum am Sana Klinikum Leipziger Land in Borna bietet chronischen Schmerzpatienten verschiedene Therapiemöglichkeiten an, so unter anderem in der stationären Schmerztherapie aber auch in einer tagesklinischen Betreuung. Wir haben uns die Möglichkeiten, Ansätze und Unterschiede von Dr. Brit Hellriegel erklären lassen. Die Fachärztin für Anästhesiologie leitet die schmerztherapeutische Tagesklinik an den Sana Kliniken Leipziger Land in Borna.

Unsere Ansprechpartnerin, wenn es um multimodale Schmerztherapie geht

Dr. Britt Hellriegel
Fachärztin für Anästhesiologie, Palliativmedizin, Spezielle Schmerztherapie
Telefon 03433 21-1681
brit.hellriegel@sana.de

Frau Dr. Hellriegel, zu Ihnen kommen Menschen, die unter dauerhaften – also monate-, manchmal jahrelangen – Schmerzen leiden. Was sind die häufigsten Schmerzen und worin liegen ihre Ursachen?

Zunächst einmal – Männer und Frauen aller Altersgruppen sind gleichermaßen von chronischen Schmerzen betroffen, wobei die meisten unserer Patientinnen und Patienten tatsächlich über 50 sind. Schaut man nach den typischsten chronischen Schmerzen, so stehen an erster Stelle die Rückenschmerzen. Aber viele Patientinnen und Patienten leiden auch an Gelenkschmerzen in Knien oder Hüften, an Nervenschmerzen zum Beispiel nach Gürtelrose oder Chemotherapien, an Kopfschmerzen oder an Schmerzen bei Durchblutungsstörungen oder nach Tumorerkrankungen. Bei letztgenannten sind die Schmerz-Ursachen recht offensichtlich. Hinzu kommen Verschleißerkrankungen oder zunächst akute Ereignisse, wie ein Bandscheibenvorfall, aus denen sich eine chronische Schmerzsymptomatik entwickelt. Aber oft sehen wir Betroffene, bei denen wir keine eindeutige organische Ursache für ihre dauerhaften Schmerzen finden können. Das ist sehr frustrierend für die Betroffenen. Sie sind in einem Zustand, in dem ihr Nervensystem in einem permanenten Alarmzustand ist und der Schmerz längst seine akute Warnfunktion verloren hat. Das führt zu einer extremen Überempfindlichkeit, manchmal reagieren sie sogar auf leichteste Berührungen mit großen Schmerzen.

Die häufigsten chronischen Schmerzen, die im interdisziplinären Schmerzzentrum Borna behandelt werden können:

  • Kopf- und Gesichtsschmerzen
  • Rücken- und Halswirbelsäulenschmerzen
  • Fibromyalgie
  • Zosterneuralgie (Gürtelrose)
  • Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerz)
  • Polyneuropathie
  • Ischämieschmerzen (Schmerzen bei Durchblutungsstörungen)
  • Zentrale Schmerzen (z.B. nach einem Schlaganfall auftretende Schmerzen)
  • Phantomschmerzen
  • Schmerzen im Bauchraum (Viscerale Schmerzen)
  • Schmerzen bei Tumorerkrankungen

Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es?

Wir verfolgen hier im interdisziplinären Schmerzzentrum in Borna den Ansatz der multimodalen Behandlung, da der dauerhafte Schmerz nicht mehr nur allein als Symptom betrachtet werden kann. Das heißt wir kombinieren therapeutische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Gabe von Schmerzmitteln, mit Bewegung, Schulungen, Entspannungstechniken und auch einer psychologischen Betreuung. Wir unterstützen unsere Patientinnen und Patienten dabei, Praktiken zu erlernen, mit denen sie selbst aktiv gegen ihre Schmerzen vorgehen und sie bewältigen können. Im Bedarfsfall kann der ergänzende Einsatz von sogenannten interventionellen Verfahren der Schmerztherapie sinnvoll sein, zum Beispiel ultraschallgeführte Injektionen, gepulste Radiofrequenztherapie oder die Stimulation des Rückenmarks mit einem sog. »Schmerzschrittmacher«.

In der Sana Klinik in Borna kann man sowohl auf der Schmerzstation als auch in der Tagesklinik betreut werden. Was sind die Unterschiede?

Wie der Name schon andeutet, werden Schmerzpatientinnen und -patienten auf der Schmerzstation für circa 14 Tage stationär aufgenommen und erhalten hier eine umfassende medizinische, psychologische und physiotherapeutische Behandlung. Sollten weitere Untersuchungen nötig sein, können jederzeit die ansässigen Fachabteilungen der Klinik hinzugezogen werden. In die Tagesklinik kommen die Patientinnen und Patienten über einen längeren Zeitraum, nämlich für vier Wochen. Allerdings übernachten sie nicht in der Klinik, sondern gehen jeden Tag wieder nach Hause.

Wie läuft die Behandlung in der Tagesklinik ab?

In der Tagesklinik führen wir täglich mit einer gemischten Gruppe von bis zu acht Patientinnen und Patienten Programme durch, die von 8 bis 15 Uhr dauern – mit Ausnahme des Wochenendes. Ähnlich wie auf der Schmerzstation nutzen wir eine Vielzahl von Maßnahmen und Ansätzen. Dazu zählen unter anderem Physiotherapie, das Training für alltags- und berufsspezifische Tätigkeiten, Koordinationstraining, Sportberatung sowie vor allem die psychologische Schulung, Verhaltenstherapie und das Erlernen von Entspannungstechniken zur besseren Bewältigung von Schmerz und Stress. Ergänzend gibt es noch Ernährungstherapie mit gemeinsamen Kochevents, Musiktherapie und Patientenseminare rund um das Thema Schmerz.
Aber egal ob Tagesklinik oder Schmerzstation – das gemeinsame Ziel ist es, den Betroffenen wieder einen Weg in einen aktiven, schmerzärmeren Alltag zu ebnen.


Das soll mit Hilfe einer multimodalen Schmerztherapie erreicht werden:

  • Verbesserung von Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und Zufriedenheit
  • Körperliche und seelische Stabilisierung
  • Beeinflussung der Schmerzchronifizierung
  • Erlernen einer gesunden Balance zwischen Aktivität und Entspannung im Alltag
  • Mögliche Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess
  • Schmerzreduzierung durch Stärkung des eigenen Kontrollempfindens auf den Schmerz
  • Erlernen von Schmerzbewältigungsstrategien und Verbesserung der Schmerzakzeptanz
  • Entdecken und Fördern eigener Stärken
  • Abbau von Schon- und Vermeidungsverhalten
  • Optimierung der medikamentösen Schmerztherapie
  • Verminderung weiterer schmerzbedingter Therapien

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Prinzipiell muss eine Schmerzsymptomatik vorliegen, die seit mindestens sechs Monaten besteht. Bevor jedoch einzelne Maßnahmen geplant werden, steht für jeden Patienten und für jede Patientin ein umfassendes Gespräch an. Das ist wichtig, um die Ausgangssituation zu bewerten, die geeigneten Behandlungsbestandteile auszuwählen und in der Folge den Verlauf der Schmerzen objektiv darstellen zu können. Weiterhin gehören auch klinische Untersuchungen, die manualmedizinische Prüfung von Muskeln, Gelenken und Bewegungsabläufen, orthopädische, neurologische sowie rheumatologische Diagnostik und die Analyse psychischer und sozialer Einflüsse im Krankheitsgeschehen, bildgebende Untersuchungen sowie Labordiagnostik zu. In interdisziplinären Teamsitzungen besprechen wir die Befunde, leiten daraus gemeinsam Ziele und Schwerpunkte für die Therapie ab und besprechen die Ergebnisse mit den Patienten.

Was gibt es sonst noch zu beachten?

Für eine Aufnahme in der Tagesklinik ist zu beachten, dass die Diagnostik abgeschlossen sein sollte. Darüber hinaus ist eine gewisse Grundkondition erforderlich und die Patientinnen und Patienten sollten in der Lage sein, mindestens 500 Meter am Stück zu gehen. Außerdem ist es wichtig, dass die Bereitschaft besteht, in einer Gruppe zu interagieren und zu arbeiten.

Gut zu wissen!

Die Zuweisung erfolgt mit einem Einweisungsschein aller gesetzlichen Krankenkassen. Privatpatienten sollten sich vorab eine schriftliche Zusage über die Kostenübernahme von ihrer Krankenversicherung einholen.

Ein wichtiger Aspekt der Schmerztherapie ist die Patientinnen und Patienten zu mehr Bewegung zu motivieren, die dann auch im Alltag umgesetzt werden kann. Wie gelingt das?

Für viele Betroffene ist körperliche Aktivität zunächst mit Angst vor einer Zunahme der Schmerzen verbunden. Wer keine professionelle Aufklärung und Therapie erhält, läuft Gefahr, aus Sorge vor einer Verschlimmerung genau das Falsche zu tun. Schonung und langfristige Inaktivität sind kontraproduktiv und verschlimmern die Problematik nur, anstatt sie zu lindern. Daher spielt die Sporttherapie und die gezielte Anleitung zu körperlicher Aktivität im Rahmen der multimodalen Therapie eine wichtige Rolle. Die Effekte von körperlicher Aktivität sind weitreichender, als vielen Menschen bewusst ist, denn wer seine Muskeln trainiert, beeinflusst auch die Gehirnaktivität positiv. Bewegung führt zu einer Hemmung von Schmerzen. Zudem wirkt insbesondere Ausdauertraining antidepressiv und angstlindernd, wie aktuelle Forschungsergebnisse zeigen. Die Betroffenen müssen also verstehen, wie chronische Schmerzen entstehen, und sie müssen lernen, damit zurechtzukommen, aktiv zu bleiben und so die Lebensqualität wieder zu steigern. Das mag nicht immer einfach sein, besonders in einem arbeitsintensiven Umfeld, aber unsere Therapeutinnen und Therapeuten helfen den Patienten und geben ihnen die Werkzeuge an die Hand, um auch im Alltag aktiv zu bleiben.

Stand: 30.05.2024

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